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Leben am Hamelwehr

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Das Hamelwehr

Das Hamelwehr war das berüchtigte Armenviertel in der Südstadt, das bis in die 70er Jahre fortbestand. Häufig war es Stadtgespräch – selten bis gar nicht kamen dabei die Menschen zu Wort, die dort lebten.

In der Dewezet-Serie „Die Menschen vom Hamelwehr“ erzählen wir die Geschichte der Siedlung aus der Perspektive der Bewohner.

In sechs Episoden erzählen uns Menschen in unserer Multimedia-Reportage von ihrem Leben am Hamelwehr. Um ihnen zuzuhören, SCROLLEN SIE HERUNTER UND KLICKEN SIE AUF DIE SECHS GESCHICHTEN.

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Die Schöns

Familie Schön lebte von den 30ern bis in die 50er Jahre am Hamelwehr.
Herta Carley (81, re.), Karola Langner (84, li.; beide geborene Schöns) und ihr Bruder Alfred „Appid“ Schön (83) sind drei von insgesamt sieben Geschwistern, die dort aufgewachsen sind. Bei einem Kaffee im Wohnzimmer der Langners in der Hamelner Altstadt schwelgen sie in Erinnerungen.
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„Wir haben in den grauen Häusern gewohnt“, erzählt Alfred Schön. Das waren die Reihenhäuser, die 1935 für Heimkehrer und Obdachlose gebaut worden waren.

Fließend Wasser und elektrisches Licht gab es in den Häusern nicht. „Draußen haben wir Wasser gepumpt, in der Waschküche“, sagt Schön. „Erst später wurde da ’ne Wasserleitung gelegt. Elektrisches Licht hatten wir auch erst nicht, nur Petroleumlampen.“

Foto: Ein weiteres von sieben Geschwistern: Bruder Willi Schön mit einer Freundin vor dem Haus am Hamelwehr.

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Wenn die Schöns vom Hamelwehr erzählen, dann geraten sie ins Schwärmen. Als Kinder fühlten sie sich pudelwohl im „Nega-Dorf“. „Es war so friedlich, man musste die Tür nicht abschließen“, sagt Herta Carley. „Es gab einen super Zusammenhalt! Es wurde nichts geklaut oder kaputt gemacht. Und draußen gab es Musik, und wir haben getanzt."

Foto: Marie Schön mit ihrer Enkeltochter Ilona und Enkelsohn Hans-Joachim am Hamelwehr.

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Als während des Krieges die Lebensmittel knapp wurden, wussten sich die Menschen am Hamelwehr zu helfen. Von klein auf. „Appid“ war zu der Zeit etwa elf Jahre alt. „Ein Freund und ich haben damals die Züge angehalten, indem wir die Bahnsignale blockierten“, erinnert er sich. „Als der Kohlenzug aus dem Ruhrpott anhielt, sind wir Jungs alle rauf und haben die Kohlen von den Waggons runtergeworfen.“ Die Mädchen sammelten sie ein.
„Als die Bahnpolizei kam, waren wir schon längst fertig“, erzählt Schön und lacht.

Im Bild: „Appid“ mit seinem ersten neuen Fahrrad, im Rücken die Baracken.

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„Und wir Mädchen waren im Wald und haben Bucheckern gesammelt“, erzählt Karola Langner. „Daraus hat unsere Mutter Öl gemacht.“ Und Herta Carley weiß noch, wie sie an der Ohsener Straße Äpfel pflückten. „Unsere Mutter hat dann die Äpfel gekocht, und das Mus haben wir aufs Brot geschmiert.“
 
Ihr Vater arbeitete in der Wesermühle. „Deshalb hatten wir während des Krieges immer etwas Mehl“, sagt Alfred Schön.
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Etwas gestört worden sei der Hausfriede und der gute Zusammenhalt, als Anfang der 50er Jahre die Baracken dazukamen, erinnert sich Alfred Schön. Mehr Leute, mehr Probleme. Aber nicht groß der Rede wert.

Foto: Die Baracken, die 1950 gebaut wurden.

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Bis in die 50er Jahre lebten die Schön-Kinder am Hamelwehr, ihre Mutter noch länger. „Ich würde sofort wieder hinziehen“, sagt Alfred Schön. „So viel Freiheit und so viel Schönes für Kinder.“ Und seine Schwester Karola Langner merkt noch an: „Wenn es so etwas für die Flüchtlinge heute gäbe, mit ihren Kindern, das wäre schön.“

Foto: Hochzeitsgesellschaft am Hamelwehr: 1951 heiraten Karola, geb. Schön, und Hans Langner

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Katharina Burgess

Ihre grünen Augen leuchten, wenn sie vom Hamelwehr spricht. Katharina Burgess (58) ist am Hamelwehr geboren und aufgewachsen. In der unliebsamen Siedlung in der Südstadt, über das sich manche Hamelner gern das Maul zerrissen. Doch für Katharina Burgess ist das Hamelwehr geliebte Heimat, die sie bis heute tief in ihrem Herzen trägt. „Das Hamelwehr ist meine Kindheit, und da bin ich stolz drauf“, sagt sie im Gespräch im Wohnzimmer ihrer Altstadtwohnung.

Das Hamelwehr war über seine engen Grenzen hinaus bekannt. Die Hamelner nannten es auch das „Nega-Dorf“. Nega-Dorf – von der möglicherweise auch rassistischen Anspielung auf „Neger“ einmal abgesehen –, weil eine der am Hamelwehr alteingesessenen und besonders zahlreich vertretenen Großfamilien Nega hieß.
Katharina Burgess ist eine geborene Nega.
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Was sie so stolz macht, am Hamelwehr aufgewachsen zu sein, fasst sie in zwei Worte zusammen: „der Zusammenhalt.“ Bei dem ständig radelnden „Opa Klemme“ fuhr sie auf der Stange mit dem Fahrrad mit.

Sie selbst lernte das Fahrradfahren mit dem Rad des Postboten, der im Gegensatz zu anderen nie Angst gehabt habe, beklaut zu werden, sondern seine Sachen immer einfach stehenließ. Und der im Rollstuhl sitzenden Blumenverkäufer „Opa Brath“ verwickelte sie immer in einen Schwatz. „Es war wie eine große Familie“, schwärmt Burgess.

Bei „Bäcker Kilian“ und „Gemüseverkäufer Schaumburg“, die einmal die Woche vorbeikamen, konnte man anschreiben lassen. Und sonst ist man eben zum Nachbarn gegangen. „Nur an Butter hat es uns nie gefehlt, denn für kinderreiche Familien gab es damals Buttermarken“, erzählt sie.


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Für die Kinder und Jugendlichen war das Hamelwehr nicht nur Zuckerschlecken. „Man musste sich halt erst mal durchboxen“, schildert Burgess. Unter den Bewohnern – Deutsche, Italiener, Sinti und andere „Reisende“ – kam es auch zu Konflikten. „Schläge haben wir alle gekriegt, aber wir konnten auch austeilen“, sagt Burgess. „Am Hamelwehr habe ich gelernt, mich durchzusetzen. Aber wir hatten alle eine gute Erziehung.“

Unter den Sinti findet sie Freunde fürs Leben. Bis heute zählen zwei Sinteza zu ihren besten Freundinnen. Entsprechend unvoreingenommen begegnet Katharina den Neuankömmlingen, als die Sinti 1964 ans Hamelwehr ziehen. Einer ihrer Wohnwagen wird gegenüber von ihrem Haus abgestellt. „Ich weiß noch, am ersten Abend, da haben die Zigeuner vor einer Baracke ein Lagerfeuer gemacht und ,Que Sera, Sera‘ gespielt. Da habe ich mich sofort in die Zigeuner verliebt."

Foto: Hella Aukschlat, die Mutter von Katharina Burgess, mit ihren Zwillingsbabys Ilona und Harald und ihren Zwillingskindern Petra und Karsten Ende der 60er Jahre am Hamelwehr.
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Nicole Bailey und Jürgen Ahrens sind Geschwister. Mit Katharina Burgess verbindet sie eine tiefe Freundschaft - und so manche Erinnerung.

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Aber selbst in der Erinnerung von Katharina Burgess war nicht alles schön am Hamelwehr. Der Wasserhahn befand sich vor dem Haus, „das war im Winter zu kalt“. Und dann die Sanitäranlagen … „Die Toilettenreihe in den Baracken: acht bis zehn Plumpsklos in einer Reihe. Das war ekelhaft.“

Zudem wurde der Umgang der Bewohner untereinander mit der Zeit rauer. „Erst im Laufe der Zeit ist es am Hamelwehr richtig verwahrlost. Es kamen immer mehr Leute. Und Ratten“, erinnert sich Burgess. „Irgendwann wurde es zu wild.“ Auch den Totschlag von 1974 hat sie nicht vergessen. „Da haben sie einen zusammengetreten.“


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„Manchmal gab es nur Brot mit Wasser und Zucker oder alten Kaffee, in den wir das Brot tunkten“, erzählt die Schwester von Katharina Burgess. „Ich weiß auch noch, wie unsere Mutter für uns auf Nahrung verzichtet hat.“ Auch Nicole Bailey und Jürgen Ahrens erinnern sich an die Not.

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Die Ahrens




Familie Ahrens lebte von 1968 bis 1974 am Hamelwehr. In der Küche von Anneliese Ahrens haben sich an diesem Tag vier von insgesamt zehn Kindern versammelt. Zu Besuch sind die Töchter Nicole Bailey (47, von rechts), Cornelia Kartal (60), Ramona Lennox (46) und Sohn Jürgen Ahrens (51). Auch Katharina Burgess, eine Freundin der Familie, ist dabei.
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„Ich dachte, hier kommst du nicht mehr raus!“, sagt Ahrens über ihre Ankunft am Hamelwehr. Ihr Mann Friedel Ahrens († 2016) hatte 1968 seine Arbeit bei der Teppichfabrik Besmer verloren. „Schisslaweng!“, ruft die Witwe aus. „Wie sollten wir jetzt die Wohnung bezahlen?“

Die Ahrens ziehen zunächst in die die Baracken an der Pumpstation (Heinestraße) und schließlich am Hamelwehr. „Das war schlimm, sehr, sehr schlimm“, sagt Anneliese Ahrens. „Gleich in unserer ersten Woche da flog ein Stuhl durchs Fenster! Da dachte ich, ,Ist das hier immer so‘?!“


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Am Hamelwehr ging es damals mitunter recht wild zu. Konflikte seien am Hamelwehr häufig mit Gewalt gelöst worden. Der Ruf der Siedlung eilte ihr voraus. „Die Taxifahrer sagten damals: Am Hahlbrockweg ist Ende!“, erzählt Cornelia Kartal, die heute als Altenpflegerin arbeitet. Der Hahlbrockweg führte von der Kuhlmannstraße zum Hamelwehr.

Besonders wenn bei einigen Bewohnern Alkohol im Spiel war, kam es öfter zu Schlägereien. Und manche Jungs kannten ihre Grenzen nicht.

Foto: Überreste der Ställe, die sich hinter den Reihenhäusern befanden, auf einem Bild von 1973. Stadtarchiv Hameln

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„Ich habe mir immer ein Messer eingesteckt, wenn ich das Haus verlassen habe“, erzählt Cornelia Kartal. Die Verkäufer, die ans Hamelwehr kamen, um ihrem Geschäft nachzugehen, seien öfter beklaut worden.

Als der Mann von Anneliese Ahrens später wieder Arbeit hat, bei der Gummifabrik Körting, sei sein Ansehen in der Siedlung gestiegen. „Dadurch hatte er bei den anderen Bewohnern Respekt“, erzählt sie. Trotzdem: „Einer musste immer in der Wohnung bleiben, damit niemand etwas klaute.“
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Aber Anneliese Ahrens hat auch schöne Erinnerungen ans Hamelwehr. „Da war der Wiesemann und seine Frau, das waren Zigeuner …“ Und von einer alten Sinteza hat sie sich ich immer die Wahrheit sagen lassen.

Auch Jürgen Ahrens erinnert sich noch an die Sinti. „Die Großfamilie Weiß war sehr bekannt dort. Sie waren aber nicht, wie viele berichten, die Schlimmsten dort. Wenn bei denen Party war, wurden alle eingeladen mit Lagerfeuer und ordentlich Musik mit Geige und Gitarre. Für uns als Kinder war das immer ein Erlebnis.“

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Nach ein paar Jahren konnte die Familie aus der Baracke ausziehen und in eine der älteren Notunterkünfte aus den 1930er Jahren, den Steinhäusern am Hamelwehr, ziehen. „Das war eine Verbesserung“, befindet Ahrens. „Wir hatten ein Eckhaus mit sechs Zimmern, es gab einen Garten mit einer kleinen Pforte und unseren Hund, den Seppel, der hat aufgepasst.“

Foto: Das Eckhaus in dem die Ahrens lebten auf einem Bild von 1973. Stadtarchiv Hameln

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Aber fließend Wasser gab es auch in den Reihenhäusern nicht. „Die Fäkalien sammelten sich am Bahndamm, hinter der Reihe Plumpsklos“, schildert Kartal. Dort wimmelte es vor Ratten und Mäusen. „Da war es irgendwann besser, in einen Plastikeimer zu machen! Unter uns Kindern gab es dann immer Streit, wer den Eimer rausbringt.“

Die hygienischen Zustände am Hamelwehr waren mitunter katastrophal. 1968 seien mehrere Babys und Kleinkindern am Hamelwehr erkrankt, sagt Kartal. Auch die einjährige Anja Ahrens. Mit Erbrechen und Durchfall kommt sie ins Krankenhaus. Sie stirbt.
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1974 findet Friedel Ahrens wieder eine Anstellung bei Besmer und die Ahrens' verlassen das Hamelwehr. Einige Baracken sind da bereits unbewohnt. Die Familie zieht in eine Werkswohnung in der Domeierstraße. „Das war viel besser“, sagt Anneliese Ahrens und schwärmt. „Da hatten wir dann eine Dusche, eine Badewanne, eine Toilette, drei Waschbecken …“

Foto: Eines der von den Nationalsozialisten als Not- und Behelfsbauten errichteten Reihenhäuser im Jahr 1973. Stadtarchiv Hameln


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Reilo Weiß und Hartmut Pletzer

Reilo Weiß (li.) hat am Hamelwehr gelebt, Hartmut Pletzer war regelmäßiger Besucher. Es ist ein Wiedersehen nach gut 50 Jahren. Pletzer (66) hat Rigoletto „Reilo“ Weiß (69) noch gut in Erinnerung. Kein Wunder, hat Weiß ihn in der Jugend doch mal aus einer brenzligen Situation befreit. So etwas vergisst man nicht. Die Dewezet-Serie über das Hamelwehr hat die beiden Hamelner wieder zusammengeführt.
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Was war damals passiert? Ein paar ältere Sinti aus Hamburg wollten den etwa 15-jährigen Pletzer beim Rummel auf dem Tönebönplatz in die Mangel nehmen. „Da kam Reilo (selbst Sinto; Anm. d. Red.) dazwischen, hat ihnen ein paar verpasst und sie in ihre Schranken verwiesen“, erzählt Pletzer in der Küche von Reilo Weiß. „Er hat mich beschützt.“

Von da an ließ man ihn in Ruhe. Als Pletzer einmal an eine größere Sammlung von Hansrudi-Wäscher-Comics („Sigurd“, „Akim“) kam, schenkte er sie Reilo Weiß. Der sammelt sie bis heute.
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Hartmut Pletzer lebte damals zwar wohlbehütet in der Chamissostraße. Aber seine Großeltern und sein Onkel wohnten in den Reihenhäusern am Hamelwehr. Die Ferien verbrachte er bei ihnen.

„Es gab dort die Hamel und viele Kinder, das war hervorragend zum Spielen“, erinnert sich Pletzer. Er habe dort „nie Probleme“ gehabt, „auch nicht mit den Zigeunern“, im Gegenteil. In Reilo Weiß sah er einen Kumpel. „Und vor einer Baracke haben die hübschen Zigeunermädchen wie auf einer Bühne manchmal getanzt“, erinnert er sich und schmunzelt. 

Für seine Freundschaften am Hamelwehr wurde er von anderen Kindern seines Alters, die nicht dort lebten, angefeindet. „,Das sind Asoziale!‘, haben die gesagt“, erzählt er. „Aber mir war das egal. Ich habe irgendwie in zwei Welten gelebt.“

Foto: Hartmut Pletzer mit etwa 16 Jahren am Hamelwehr. Im Hintergrund ist ein Schlot der Teppichwerke Oka zusehen.


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Das Hamelwehr ist ein sehr lebendiger Ort, wo sich das Leben draußen abspielt. Noch lebendiger wird es in der Siedlung, als die Hamelner Sinti-Familie Weiß 1964 ihren Wohnwagenplatz am Rettigs Grund räumen muss und am Hamelwehr untergebracht werden soll.

Die älteren Sinti äußern zwar zunächst Bedenken. Auch ihnen ist der schlechte Ruf des Hamelwehrs nicht entgangen. Sie sorgen sich um ihre Kinder, aber geben am Ende ihr Einverständnis. Die meisten geben ihre Wohnwagen auf. „Am Hamelwehr, das war unsere erste Wohnung, Baracken zwar, aber für uns wie ein Palast“, sagt Bluma Weiß (87).


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Reilo Weiß ist gerade 16 Jahre, als er mit seinen Eltern und Geschwistern ans Hamelwehr zog. Die Zeit am Hamelwehr hat er als einen besonders schönen Lebensabschnitt in Erinnerung. Er war jung, und am Hamelwehr war immer was los. Manchmal sei es dort durchaus wild hergegangen und zu Schlägereien gekommen. Doch jung wie er war, gehörte das wohl irgendwie mit dazu.

Aber da ist noch etwas. „Es war schön, weil dort alle Sinti noch zusammen waren“, sagt Weiß. „Später zogen alle in Wohnungen, über die Stadt verteilt.“ Die enge Gemeinschaft löste sich auf. Schön sei am Hamelwehr aber nicht nur das Zusammenleben der Sinti gewesen. „Jeder kannte sich“, sagt er. „Das war schön. Wäre es heute auch noch. Für mich zumindest.“


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Wo kommen die Sinti?
Die heute in Europa lebenden Sinti und Roma stammen ursprünglich aus Indien, beziehungsweise dem heutigen Pakistan. Vom 8. bis 10. Jahrhundert wanderten sie über Persien, Kleinasien und den Kaukasus (Armenien) aus. Im 13. und 14. Jahrhundert führte ihre Auswanderung über Griechenland und den Balkan nach Mittel-, West- und Nordeuropa. Vom hier aus ging es nach Amerika. Kriege, Verfolgung, Vertreibung oder aus wirtschaftlicher Not drängten die Sinti und Roma immer wieder zu neuen Wanderungsbewegungen.

Bezeichnung
Ein männlicher Sinti wird als Sinto bezeichnet, Frauen als Sintez(z)a. Sinti und Roma sind die Bezeichnungen von im gesamten Europa lebenden Minderheitengruppen. Die Bezeichnung Sinti leitete sich möglicherweise von der Region Sindh (Indus) ab. Der Begriff „Zigeuner“, wie er lange Zeit benutzt wurde, ist eine Fremdbezeichnung. Viele Sinti und Roma empfinden ihn als herabsetzenden und beleidigend.

Die Sprache der Sinti
Das Romanes, die Sprache der Roma und Sinti, ist mit dem indischen Sanskrit verwandt. Die Sprache hat im Laufe der Jahrhunderte viele Dialekte ausgebildet - bedingt durch die Wanderungsbewegungen und unterschiedlichen Heimatregionen. So spricht man etwa vom „deutschen Romanes“ und dem „ungarischen Romanes“. Viele Roma-Gruppen haben ihre Sprache ganz verloren. Dazu haben Zwangsassimilierungen und Ausgrenzung beigetragen, aber auch die Tatsache, dass es sich beim Romanes um eine vorwiegend mündliche Sprache handelt.

Religion
Eine eigene Religion haben Roma und Sinti nicht. Sie sind Mitglieder verschiedener Religionen oder auch Konfessionen. Vielfach sind sie Moslems oder Orthodoxe im europäischen Südosten, Katholiken und Protestanten in Mitteleuropa und auch Mitglieder von Freikirchen überall in der Welt.

Verfolgung durch die Nazis
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 wurden nicht nur die Juden, sondern auch die Sinti und Roma systematisch entrechtet. Ab 1938/39 wurde ein kriminalpolizeilicher Apparat aufgebaut, der eigens der "Zigeunerbekämpfung" diente.

Die Nazis sahen in den Sinti und Roma ein gesellschaftliches und rassisches Problem, das aus dem deutschen Volkskörper entfernt werden musste. Betroffen von der Verfolgung waren vor allem die Nomaden unter ihnen. Von den 40.000 Sinti und Roma, die im Deutschen Reich lebten, wurden Tausende in Konzentrationslager verschleppt. Andere kamen in Durchgangslager, aus denen sie während des Krieges in Ghettos und Vernichtungslager deportiert wurden.

Insgesamt wurden von den 35.000 bis 40.000 erfassten deutschen und österreichischen Sinti und Roma 25.000 ermordet bzw. kamen durch Erschöpfung, Hunger oder Krankheit um. Die geschätzte Zahl der Sinti und Roma, die im nationalsozialistisch besetzten Europa und den mit Hitler-Deutschland verbündeten Staaten ermordet wurden, bewegt sich zwischen 220.000 und 500.000.

Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma:
http://www.sintiundroma.de/start.html
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Willi Nega

Willi Nega kann seine Geschichte nicht mehr selbst erzählen. Er starb 1940 mit nur 40 Jahren im Konzentrationslager Dachau. Der Hamelwehr-Bewohner wird 1938 von den Nationalsozialisten als "arbeitsscheu" kategorisiert und im Zuge einer reichsweiten Aktion deportiert.

Seine Enkelin, Katharina Burgess (58), hat ihren Großvater geliebt. Obwohl sie ihn niemals kennengelernt hat. Doch in den Erzählungen ihrer Großmutter und Mutter lebte er weiter. Die näheren Umstände seines Todes blieben bislang unbekannt. Durch Zufall ist Burgess ihrem Großvater jetzt, Jahrzehnte später, doch noch auf die Spur gekommen.
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Katharina Burgess ist etwa zwölf Jahre alt, als sie die Geschichte über ihren Großvater zum ersten Mal hört. Ihre Oma erzählt sie ihr unter Tränen. Sie brennt sich in Burgess‘ Gedächtnis ein. „Er sollte für die Gestapo spitzeln, aber hat sich verweigert“, sagt Burgess.

 „Erst war alles ruhig. Ein paar Tage später klopfte es morgens um fünf an der Tür. Die SS forderte meinen Opa auf, mitzukommen, um ein paar Fragen zu beantworten. ,Ich muss zur Arbeit!‘, soll er geantwortet haben. ,Bis dahin bist du zurück‘, sagte man ihm. Am Nachmittag ist meine Oma zum Polizeirevier gegangen. ,Wo ist mein Mann?‘ – Der kann jetzt nicht.“ Unter Androhung, sie „auch noch mitzunehmen“, habe man sie fortgeschickt.

Foto: Willi Nega mit seiner Familie vor seiner Wohnung in der Ohsener Straße. Wenig später zogen sie in die Siedlung am Hamelwehr.


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Auf einer amerikanischen Internetseite namens „www.stevemorse.org“ stößt Katharina Burgess auf die Daten ihres Großvaters Willi Nega. Und auf die seines Zwangsaufenthalts in Dachau. Burgess kommen die Tränen. Als erste Familienangehörige war sie vor vier Jahren ihrem Opa zuliebe zur KZ-Gedenkstätte in Dachau gefahren. „Es war schrecklich“, sagt sie. „Ich habe geweint.“

Der Internetseite zufolge kam Nega im August 1940 über das Außenlager Mauthausen als Zwangsarbeiter mit der Gefangenennummer 14744 ins KZ Dachau, wo er im Dezember desselben Jahres starb. Im Alter von nur 40 Jahren.

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Innenansicht einer Baracke im KZ Dachau.
Innenansicht einer Baracke im KZ Dachau.
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Weitere Informationen über Willi Nega holt der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen ein. Demnach kommt Willi Nega in Helmstedt zur Welt und ist von Beruf Heizer. Am 21. April 1938 wird er in Hameln in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, also ohne richterlichen Befehl. Am 19. Mai 1938 wird Nega in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Von den Nazis als „ASR“ kategorisiert: „arbeitsscheu“.

„Im Rahmen der Aktion ,Arbeitsscheu Reich‘ (ASR) werden im April und im Juni 1938 bei zwei Verhaftungswellen mehr als 10 000 Männer als sogenannte Asoziale in Konzentrationslager verschleppt. Das diente vor allem der Abschreckung“, erläutert Gelderblom. Die Aktion habe Landstreicher, Bettler, Prostituierte, „Zigeuner“, Trunksüchtige und Menschen mit ansteckenden Krankheiten, insbesondere Geschlechtskrankheiten, betroffen.

Den Nazis sei es dabei um die Ausschaltung eines Personenkreises gegangen, der aufgrund vermeintlich erblicher Anlagen zur Kriminalität neige. Die Nazis waren der Auffassung, dass Kriminalität erblich bedingt sei. „Es handelt sich also um so etwas wie eine rassische Generalprävention“, so Gelderblom.

Zwei Jahre später, am 7. März, wird Nega in das KZ Mauthausen überstellt, diesmal in der Häftlingskategorie „AZR“ („Arbeitszwang Reich“). Am 15. August 1940 wird er in das KZ Dachau gebracht, wo er am 22. Dezember stirbt. Die angegebene Todesursache für den 40-jährigen Familienvater von zehn Kindern: „Lungenentzündung, Versagen von Herz und Kreislauf“. „Die Behandlung dieser Häftlingsgruppe war barbarisch“, sagt Gelderblom, auch im Hinblick darauf, dass Nega in nur zweieinhalb Jahren drei KZs durchläuft. 


Innenansicht einer Baracke im KZ Dachau.
Innenansicht einer Baracke im KZ Dachau.
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Nach seiner Deportation erreichen die Familie noch ein paar Briefe von Willi Nega. „Sie begannen mit ,Meine liebe Frau‘, ein paar Stellen waren zensiert“, erzählt Burgess. „,Mir geht es hier gut, schickt uns keine Pakete, schickt uns Geld!‘, schrieb er.“ Zwei Jahre später kam die Todesnachricht, er sei an Herzversagen gestorben . „Ja, klar“, sagt Burgess.
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Der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom möchte Willi Nega nun in das Gedenkbuch der Hamelner Opfer des Nationalsozialismus mit aufnehmen. Auch einen „Stolperstein“ könnte er bekommen. Katharina Burgess findet die Idee gut. „Ich hoffe, dass sich diese Geschichte niemals wiederholt“, sagt sie.
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Geschichte vom Hamelwehr

Der Ruf der am äußersten Rand der Südstadt gelegenen Siedlung eilte dem Hamelwehr voraus. Es war das Viertel, um das viele Hamelner einen großen Bogen machten. Andere fühlten sich zu dem Quartier und seinen Menschen hingezogen.

Doch die Menschen, die dort lebten, waren stigmatisiert. Das Hamelwehr war ein kleines Ghetto.
In alten Dewezet-Berichten taucht das Hamelwehr (heute: Am Frettholz) vor allem im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen aufgrund von Schlägereien und Diebstählen auf.

Das Hamelwehr auf einer Luftaufnahme aus dem Jahr 1966: Zu sehen sind die Reihenhäuser (Grün), die Baracken (Blau) und die „Obdachlosenunterkunft“ (Orange) sowie die Werkswohnhäuser von Hahlbrock (Gelb).
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Der Name „Hamelwehr“ leitet sich ab von der Straße „Am unteren Hamelwehr“. Der Straßenname wiederum rührt von dem kleinen Wehr an der Hamel her, das es in der Südstadt gab. Es befand sich südlich der Handschuhfabrik Hahlbrock und sollte den Flusslauf bei Hochwasser entlasten. Von dem Wehr ging ein parallel zur heutigen Kuhlmannstraße verlaufender, sehr schmaler Kanal namens „Die Anlieger“ ab, der zur Fluthamel führte.
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Die Geschichte

1973: Blick auf die im Verfall begriffenen Ställe, die sich hinter den Reihenhäusern befanden.
1973: Blick auf die im Verfall begriffenen Ställe, die sich hinter den Reihenhäusern befanden.
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Für Politik und Stadtverwaltung war das Hamelwehr in erster Linie ein Sorgenkind. Zunächst, weil die Stadt sicherstellen musste, dass auch die Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot (insbesondere in der Nachkriegszeit), Schicksalsschlägen oder anderen persönlichen Problemen keine Bleibe mehr hatten, ein Dach über den Kopf bekamen. Dafür errichtete sie am Hamelwehr Notunterkünfte und Baracken. Später, weil das Hamelwehr zunehmend den Unmut von Politik und Bürgern auf sich zog. Aber das Hamelwehr machte auch einen Wandel durch. Vom armen, aber offenbar sozial intakten und gepflegten Viertel in den 1930er, 40er und vielleicht auch noch 50er Jahren zum vernachlässigten sozialen Brennpunkt am Rande der Verwahrlosung in den 60er und 70er Jahren.

Der Grundstein für die Siedlung wird 1933 von den Nationalsozialsten im Rahmen des reichsweiten „Arbeitsbeschaffungsprogramms“ zur „Errichtung von Not- und Behelfswohnungen“ gelegt. Die Stadt Hameln will das östlich des Friedhofs Wehl, nördlich des Reimerdeskamps, gelegene Barackenlager Am Brössel, das aus dem einstigen Kriegsgefangenenlager hervorgegangen war, auflösen. Die Menschen sollen auf Obdachlosenunterkünfte verteilt werden.

Die Siedlung besteht zunächst aus fünf ebenerdigen Reihenhäusern mit je vier zwei- bis dreiräumigen Wohnungen im Erdgeschoss und einer Vier-Zimmerwohnung im Dachgeschoss. Draußen gibt es Waschküchen und Gärten zur Selbstbewirtschaftung. Fließend Wasser gibt es in den Häusern nicht. Vor den Häusern befinden sich Plumpsklos.

Die Not nach dem Krieg

Nach dem Krieg herrscht in Hameln durch die Aufnahme von Tausenden von Flüchtlingen wie in vielen anderen Städten auch akute Wohnungsnot. Als das in Teilen zum Flüchtlingslager umfunktionierte Fabrikgelände der Domag in der Kuhbrückenstraße überfüllt ist, behilft sich die Stadt 1950 unter anderem mit dem Bau von drei Wohnbaracken am Hamelwehr. Zwei der Flachbauten bestehen aus 36 Räumen (ein Raum pro Familie), einer aus zehn (zwei pro Familie). Zwei weitere kleine Baracken dienen als Waschküche und Trockenraum. Die Familien sind oft kinderreich, teilweise leben mehr als zehn Menschen zusammen in einem Raum. Fließend Wasser gibt es auch in den Baracken nicht.

Mitte der 1960er Jahre sind die Tage des Hamelwehrs bereits gezählt. Im Rahmen eines „Barackenräumungsprogramms“ sollen langfristig auch die Häuser und Behelfsbauten am Hamelwehr verschwinden und die Bewohner in Wohnungen unterkommen. Zudem beschließt der Rat 1965 auf Bestreben der Unternehmer Hahlbrock und Stephan, die ihre Firmenssitze in unmittelbarer Nachbarschaft des Hamelwehrs haben, das Hamelwehr zum Industriegebiet umzuwidmen.

Mit Beginn der 1970er Jahre sind bereits mehrere Baracken unbewohnt. Nach und nach werden die Bewohner umgesiedelt, etwa in die Häuser der „Gemeinnützigen Wohnungs-Baugesellschaft“ am Kuckuck in Rohrsen. Andere finden auf eigene Faust Wohnungen. 1977 werden die letzten Häuser abgerissen. Das Hamelwehr ist Geschichte.
1973: Blick auf die im Verfall begriffenen Ställe, die sich hinter den Reihenhäusern befanden.
1973: Blick auf die im Verfall begriffenen Ställe, die sich hinter den Reihenhäusern befanden.
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1938 wird die Siedlung um eine Obdachlosenunterkunft mit 14 Zimmern, eins pro Familie, erweitert. Dazu gehört ein Luftschutzkeller, der allen Bewohnern des Hamelwehrs als Zuflucht dienen soll. Das Haus liegt etwas abseits, längs der Fluthamel. Im Laufe der Zeit bekommt es einen Spitznamen. „Das war der ,Polizeiblock‘“, erinnert sich Katharina Burgess (58), die am Hamelwehr zur Welt kam. „Den nannten wir so, weil die Polizei so oft da hinkam.“

Das Foto entstand 1938 bei einem Hochwasser. Bereits drei Jahre zuvor war das Hamelwehr von einem schweren Hochwasser betroffen.

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Eine weitere Bezeichnung für das Hamelwehr lautete „Nega-Dorf“ in Anlehnung der dort lebenden Großfamilie Nega. Mit der Verschlechterung der Lebensverhältnisse sprach man später auch von „Mau-Mau“-Siedlung in Anspielung an die vermeintlich zügellosen Aufständischen des kenianischen Mau-Mau-Kriegs von 1952.

Um sich von der Siedlung abzugrenzen, nannten die Bewohner der angrenzenden Werkswohnhäuser der Hahlbrockfabrik ihren Straßenabschnitt des „unteren Hamelwehrs“ vorzugsweise „oberes Hamelwehr".
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Immer wieder ist das Wohngebiet am Hamelwehr von Hochwasser bedroht. Besonders heftig triff es die Bewohner im Jahr 1935. 33 Jahre später, am 16. Januar 1968 schlägt das Unglück erneut zu. Der Bach schwillt an und überflütet Gärten, Behausungen und Ställe. 
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Jürgen Ahrens: "Als Kleiner Junge dort auch die Erste Mondlandung mit bekommen.....alle vor einem großen Röhrenfernseher - schwarz -weiß . Bude war voll, war sie immer und Nachbarn, Freunde, Bekannte noch dazu......war dort eigentlich immer wie Große Familie!"

Maria Hoffmann: "Ich weiß noch, dass mein Onkel mit den einzigen Fernseher hatte, man war da was los wenn Fußball war. Er kassierte von jedem 0,50 Pfennig,lach,hat sich für ihn gelohnt."

Heidi Lala: "Haben immer wieder gerne dort gespielt ,viel Freiheit , Spaß, Freude und Freunde."

Claudia Thiemann Meyer: "Der Weg zu meiner Freundin, die damals am Hamelwehr, wohnte war immer extrem schwierig, eine Art Spießrutenlauf, denn dort wohnten auch Zigeuner, deren Kinder wenig nett zu anderen waren, sie hielten einen in Gruppen an, ließen sich Sachen zeigen, die man bei sich trug und bei Gefallen nahmen sie einem die ab oder man wurde verhauen. Da ich von der Kaiserstraße kam, wählte ich den Weg Wittekindstr. und dann links an der Hamel entlang zum Freibad und weiter durch die Unterführung wo sie meist lauerten. Das spielen selbst am Hamelwehr war sehr schön, viele Kinder ganz unbedarft..ich war gerne zu Besuch dort."







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Mit der Zeit gerät das Hamelwehr vermehrt in die Schlagzeilen. „Schlägerei mit Schädelbruch“, lautet 1952 die Überschrift eines Dewezet-Artikels über eine handfeste Gruppenschlägerei am Hamelwehr, „Amazone mit dem Eislöffel“ eine von 1957. „Keilerei am Polterabend“ lautet 1968 eine Schlagzeile. „Am Hamelwehr lebten auch viele Knastologen und Saufkumpanen“, erzählt Anneliese Ahrens (80), die von 1968 bis 1974 in der Siedlung lebte. 

Die negativen Schlagzeilen zum Hamelwehr gipfeln 1974 in einem Totschlag. In der Nacht zum 30. März wird der holländische Bewohner Jan Lambeck (49) von dem 18-jährigen Willi R., der ebenfalls am Hamelwehr wohnt, mehrfach zusammengeschlagen. Einen Tag später erliegt Lambeck seinen Verletzungen.
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In den Notunterkünften und Baracken Am unteren Hamelwehr lebten Hilfsarbeiter, Arbeiter, Handwerker, Straßenhändler und Schausteller. In den benachbarten Hahlbrock-Häusern wohnten die Arbeiter der Handschuhfabrik Hahlbrock.

Ende der 1930er Jahre lebten am Hamelwehr um die 80 gemeldete Erwachsene, 1967 waren es um die 75. Dazu kommen zahllose Kinder und Jugendliche. Familien mit zehn Kindern waren keine Seltenheit.

Die Obdachlosenunterkünfte und Baracken am Hamelwehr waren nicht die einzigen im Stadtgebiet. Weitere Baracken werden in den 50er Jahren an der Ohsener Straße, an der Pumpstation (Heinestraße), am Wehler Weg und am Wilhelmsplatz gebaut. 1955 sind etwa 500 Menschen in Baracken untergebracht. Eine Zahl, die sich bis 1962 kaum ändern wird.

Nahezu zeitgleich wird mit Planung und Bau von Wohnblöcken mit Ausweichwohnungen begonnen. 1952 entstehen etwa 20 Sozialbauwohnungen in der Grimsehlstraße, 50 weitere später am Reimerdeskamp. Die bis heute bekannteste Siedlung dieser Art ist der Kuckuck.
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Katharina Burgess: "Könnt ihr euch noch an Opa Braht erinnern oder an Oma Nega ? Oma Nega war meine Oma."

Maria Hoffmann: "Meine Oma Lina war ihre Freundin."

Klara Grant: "Ja, der Herr Braht hatte doch im Rollstuhl gesessen und Blumen verkauft."

Jürgen Ahrens: "Bin dort groß geworden!....habe noch sehr viele Erinnerungen von der Zeit als ich da Lebte!"

Nicole Bailey: "Ja, eine Erinnerung werde ich niemals vergessen. Du hast mir damals am Hamelwehr mein Leben gerettet ."

Lili Lui: "Wer kennt noch die ehemaligen Firmenwohnungen am Hamelwehr? Kutscher Meier als DIE Kneipe am Hamelwehr? Mit seiner Eisbox fuer das Bier? Die Karnickelstaelle bei den Garagen!!!!!?"




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Katharina Burgess: "Ich bin da groß geworden und bin stolz darauf ,jedes mal wenn ich das Bild sehe kommen mir Tränen in den Augen, weil es für mich schöne er Erinnerungen sind, die ich nie vergessen möchte."

Didi Kami: "Ich war da jedes Wochenende...habe die Jungs zumFußball HSC Hameln abgeholt."

Petra Aukschlat: "Bin auch dort aufgewachsen, habe leider aber keine große Erinnerung mehr, nur an eine für mich als Kind gruselige Geschichte, am Wegesrand stand ein alter verlassener Wohnwagen , Türen und Fenster waren weit auf und der Wind spielte mit den zerrissenen Vorhängen und meine Mutter sagte immer, wenn du nicht artig bist bringe ich dich zum schwarzen Mann der wohnt nämlich da dass war echt ängstlich und abends hatte ich echt immer angst gehabt dort lang gehen zu müssen."

Foto: Ein großes Fischsterben in der Fluthamel lockte 1959 viele Kinder vom Hamelwehr an das Gewässer.



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Andreas Hentrich

Andreas Hentrich wuchs in den Hahlbrock-Häusern auf - im "Oberen Hamelwehr". Das war der Straßenabschnitt mit fünf Werkwohnhäusern der Handschuhfabrik Hahlbrock. Ihre Bewohner legten wert auf diese Unterscheidung. Sie wollten nicht mit den Leuten des berühmt-berüchtigten "anderen" Hamelwehrs ein paar Meter weiter die Straße runter in einen Topf geworfen werden.
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Die Hentrichs lebten von 1949 an am "oberen Hamelwehr", das offiziell nie so hieß. Sie wohnten zunächst in einem der vier kleineren Werkswohnhäuser. Die Bewohner teilten sich draußen neben dem Hauseingang ein Plumpsklo. Vor den Häusern hatten sie Gärten.
Die offizielle Anschrift der Hentrichs lautete "Am unteren Hamelwehr". Später wurde dieser Straßenabschnitt dann in Hahlbrockweg umbenannt. Aber um sich von der verrufenen Siedlung nebenan abzugrenzen, sprach man bis dahinvorzugsweise vom "oberen Hamelwehr".
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"Meine Eltern sagten mir, ich solle in der Schule sagen, dass ich vom oberen Hamelwehr bin, mit der Betonung auf 'oberen'." Sie wollten nicht, dass man ihn in eine "falsche Schublade" steckte.

Im Bild Andreas Hentrich (links) mit seinem Vater Okar Hentrich und Bruder Mathias Hentrich.

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Hentrich erinnert sich, dass öfter Polizeiwagen in die Nachbarsiedlung fuhren. "Wohl meist, weil es dort zu Auseinandersetzungen wegen Trinkens kam".
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Wer ans Hamelwehr wollte, der musste diese Brücke über der Hamel überqueren.
An die Fluthamel am Ende der Straße durfte Hentrich allerdings nicht. Dazu hätte er nämlich die berüchtigten Sozialbauten durchqueren müssen. Für den kleinen Andreas war an der Grenze zur "Nega-Siedlung" Schluss.
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Hentrichs Vater arbeitete bei Hahlbrock in der Handschuhfabrik. Die Arbeiter konnten on den Werkswohnungen wohnen. "Ich weiß noch, wie die Hamel dort durch die Färberei in der Fabrik immer eine andere Färbung hatte: gelb, blau oder rot", erinnert sich Hentrich. "Der Umweltschutz war damals noch nicht so weit."
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1953 zogen die Hentrichs in den großen U-förmigen Block nebenan. "Dort wohnten jeweils fünf Parteien, die sich zwei Plumpsklos teilen mussten". Noch bis 1958 nahmen sie am Leben am Hamelwehr teil.
Andreas Hentrich betrat nie die "Nega-Siedlung". "Ich habe mich vor den anderen Kindern, die dort in Massen spielten immer in Acht genommen. Die waren immer etwas wilder." Seine Welt reichte allenfalls noch über den angrenzenden Bahndamm hinaus.
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